Was wäre die Adventszeit ohne einmal über Weihnachtsmarkt zu latschen? Zählt man nicht gerade zu den Weihnachtshassern, geht man jedes Jahr fast schon automatisch hin. Weihnachtsmärkte gehören zur dunklen Jahreszeit einfach dazu, so wie Eis und Freibad zum Sommer. Aber warum eigentlich? Glühwein, Süßkram und überteuerter Nippes allein können es kaum sein. Was zieht dann die Massen jedes Jahr wieder in ein Gewirr aus Holzbuden, Lichtern und angetrunkenen Stimmen? Vielleicht die Erinnerung an eine heile Welt? Genau wie Weihnachten gaukeln Weihnachtsmärkte uns Erwachsenen ein Stück verlorenes Paradies vor. Längst vergangene Zeiten, wo kindliche Unbefangenheit noch nicht mit Alltag und Routine ausgetauscht wurde. Eine unbeschwerte Zeit voller Vorfreude, die am 24. Dezember stets ihren Höhepunkt fand.
Weihnachten als Zeit stiller Einkehr
Weihnachten ist und bleibt im Abendland die heiligste Zeit des Jahres, egal ob man gläubiger Christ ist oder nicht. Das war auch in meiner Kindheit so. Christliche Symbolik spielte im heidnischen Norden zwar keine große Rolle, die Geschichte des Weihnachtsfests wurde zu Grundschulzeiten dennoch im Unterrichtsfach „Biblischer Geschichtsunterricht (BGU)“ von betagten Lehrerinnen in selbstgetrickten Pullis irgendwie befremdlich vorgetragen. Dennoch, die Weihnachtszeit mit allem Drumherum war die bedeutsamste Zeit des Jahres, die man schon im Oktober sehnlichst erwartet hatte.
Und das nicht nur aufgrund der erhofften Spielsachen, die durch den Wunschzettel bestellt und an Heiligabend unter den Tannenbaum geliefert wurden. Es waren auch viele andere zauberische Phänomene, die diese Zeit ab November gekennzeichnet haben. Kälte, Schnee und Dunkelheit. In den Achtzigern war Schnee im späten November auch noch die Regel und nicht die Ausnahme. Dazu als Kontrast die Innenstädte mit den vielen bunten Lichtern, Wärmequellen und abenteuerlichen Gerüchen. Und hier kam auch der Weihnachtsmarkt mit der großen Weihnachtskrippe ins Spiel. Dieses Zusammenspiel erschuf eine Atmosphäre, die als Gesamtkomposition fest verwurzelt in meiner Erinnerung hängengeblieben ist.
Schaut man sich die Weihnachtszeit aus dem Blickwinkel unserer Dichter an, lässt sich dieser Abschnitt treffend als Zeit der stillen Einkehr beschreiben. Viele unserer bekannten Schreiber, von Eichendorff, Rilke bis hin zu Hesse, porträtierten in Ihren Werken die Weihnachtszeit gern als Phase der Kontemplation und Rückschau, ebenso als Zeit mystischen Erlebens einer Verbindung mit der Schöpfung.
In Weihnachtszeiten reis‘ ich gern
Und bin dem Kinderjubel fern
Und geh‘ in Wald und Schnee allein.
Und manchmal, doch nicht jedes Jahr,
Trifft meine gute Stunde ein,
Dass ich von allem, was da war,
Auf einen Augenblick gesunde
Und irgendwo im Wald für eine Stunde
Der Kindheit Duft erfühle tief im Sinn
Und wieder Knabe bin …
Hermann Hesse
Eine Zeit, wo man über das zurückliegende Jahr nachdenkt, die üblichen Verstrickungen und Zerstreuungen kurzzeitig ablegt und Kraft für das kommende Jahr sammelt. Eine Zeit, wo man sich auch den Mitmenschen vermehrt widmet und nicht nur eigenes Wohl verfolgt. Diese Sinngebung verträgt sich auch gut mit dem Bild besinnlicher Weihnacht, das von der Kirche verkündet wird. Und Weihnachten nicht nur als Geburt Jesu Christi zelebriert, sondern auch als Zeit der Liebe versteht, mit Momenten der Stille, Andacht und Vergebung.
Die Profanisierung des Weihnachtsfests
Irgendwie schon seltsam, dass sich diese archaischen Werte der Kirche und unserer Vorfahren mit der modernen Adventszeit inklusive Weihnachtsmärkten so gar nicht mehr vertragen. Weihnachten wurde spätestens seit den frühen Neunzigern zum wichtigsten Wirtschaftsfaktor und zum Milliardengeschäft für den Einzelhandel. Je teurer das Geschenk, umso weniger plagt auch das schlechte Gewissen. So suggerieren die Lautsprecher in den Geschäften bereits im Oktober, möglichst früh an kostbare Geschenke für „die Lieben“ zu denken. Der moderne Weihnachtsmann ist Geschäftsmann – oder wird von Coca-Cola gesponsert.
Im Dezember wird es in den Innenstädten dann absurd. Stressgeplagte Massen quetschen sich durch die überfüllten Abteilungen der Warenhäuser, rempeln sich an und stehen ungeduldig an langen Kassen. Um dann nach dem Kaufrausch auf dem Weihnachtsmarkt eine bizarre Art des Ausgleichs zu finden. Mit prallen Einkaufstüten erkämpft man sich bei 15 Grad Außentemperatur neben einer Lache Glühweinkotze im dritten Kreis der Hölle einen engen Stehplatz zur Völlerei. Zuckerschock und Schnapspegel betäuben den erlittenen Frust der Einkaufsstrapaze. Neben der Fröhlichkeit steigt die allgemeine Lautstärke und schief gegrunzte Weihnachtslieder von Firmengrüppchen verscheuchen neben Kerberos auch noch jedes Fünkchen von Besinnlichkeit, das man dort eigentlich erwarten würde.
Von der einstigen Magie und dem ursprünglichen Weihnachtsgedanken scheint da nicht mehr viel übrig geblieben zu sein. Da fragt man sich wirklich, warum man sich das jedes Jahr wieder antut? Weihnachtsmärkte als Stressfaktor? Braucht man eigentlich nicht. Dann aber fehlt ein wichtiger Mosaikstein, der seit jeher die Weihnachtszeit begleitet hat. Wie also umgehen mit der Diskrepanz zwischen damals und heute?
Glücklicherweise existiert neben diesem verzerrten Bild auch noch ein anderes. Zu Randzeiten ist man auf dem Weihnachtsmarkt deutlich besser aufgehoben. Dann ist es erkennbar ruhiger und weniger überfüllt. Und die Wahrscheinlichkeit, dass sich der Geruch von gerösteten Mandeln mit dem süßlichen Gestank von Erbrochenem vermengt, entsprechend geringer. Wenn dann auch noch das Wetter halbwegs mitspielt, und man innerlich nicht mit anderen unwichtigen Dingen zerstreut ist, entdeckt man mit etwas Glück auch wieder die besonderen Momente von damals. Und dazu gehört nicht wirklich viel. Man muss sich dem Moment nur öffnen, sich fallen lassen und dem erstbesten als Coca-Cola-Weihnachtsmann verkleideten Studenten einen kräftigen Tritt in den Hintern verpassen.
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